Statement

von Dr. Monika Griefahn

Ministerin a.D., Geschäftsführerin des Instituts für Medien, Umwelt, Kultur

Naturwald – keine Angst vor Wildnis

Dr. Monika Griefahn Was wir heute Wald nennen ist vielfach Wirtschaftsforst und somit eher eine Baumplantage als ein Wald. Wirklich alte Wälder sind in Deutschland rar. Das mag seinen Grund in der Historie haben. Wenn, wie etwa in der Lüneburger Heide, menschliches Wirtschaften über die Jahrhunderte aus Wäldern eine offene Landschaft gemacht hat, ist nachvollziehbar, dass eine Aufforstung zunächst mit Pionierbaumarten anfangen muss. Dass auch nach Reparationsfällungen des Zweiten Weltkrieges eher schnelles Handeln im Vordergrund stand, ist ebenso nachvollziehbar.
Gleichwohl wissen Forscher und Förster heute, wie ein naturnaher Wald aufgebaut sein muss, soll er seine Ökosystemdienstleistungen erfüllen: Filtern der Luft, Klimahaushalt, Artenreichtum. Man weiß inzwischen auch, dass Bäume vielfältig vernetzt sind, insbesondere über das Wurzelsystem. Wer also heute eine Forstwirtschaft mit schweren Maschinen wie Harvestern empfiehlt, handelt wider besseren Wissens. Die Böden werden verdichtet, regelmäßige Schneisen durchziehen die Forsten und machen sie anfälliger gegen Wetterextreme.
Dass diese Methode dennoch weitläufig eingesetzt wird, ist wiederum wirtschaftlichen Anforderungen geschuldet – und einem kulturellen Verständnis der Beherrschung und Strukturierung von Natur. Es ist weniger die Vernunft als vielmehr diese kulturell geprägte Herangehensweise, die es so schwer macht, eine natürliche Entwicklung von Wäldern zuzulassen. Einerseits lieben wir die Natur, andererseits geht uns ihre „Unordnung“ gegen den Strich.
Schon bei der Einrichtung des Nationalparks Harz in den 1990er Jahren, die ich als niedersächsische Umweltministerin mit auf den Weg bringen durfte, gab es viele Befürchtungen, ja geradezu eine Angst vor Wildnis. Mag sein, dass die Menschen, die damals Borkenkäferplagen befürchteten, sich jetzt im Recht sehen – denn der Harz weist auf weiten Flächen abgestorbene Fichten auf. Dabei befindet sich der Nationalpark lediglich inmitten der Transformation zum Naturwald.
Die Zeiträume, in denen wir bei der Waldentwicklung denken müssen, gehen über Generationen. Bis Arten sich auf natürliche Weise etablieren – die Phasen, die der Wald durchläuft – dauert es Jahrtausende. So gesehen hätten wir längst für mehr Wildnis sorgen müssen, damit Wälder widerstands- und leistungsfähig sind – auch für unsere Gesundheit und für unser Wohlbefinden. Und dafür, unseren Umgang mit Natur wieder ins richtige Lot zu rücken. Das politische Ziel, bis 2020 fünf Prozent der Wälder in Deutschland dauerhaft ihrer natürlichen Entwicklung zu überlassen, wird vermutlich nicht eingehalten. In dieser Gemengelage ist jedes Waldstück, das sich wieder zu einem Naturwald entwickeln kann kostbar. Und jedes Stück Natur, das wir in unseren versiegelten urbanen Räumen schaffen, auch.